11.01.2017
Das Landesarbeitsgericht Berlin kassierte heute ein zugunsten der Fluggesellschaft Germania ergangenes Kündigungsurteil gegen einen am »aerotoxischen Syndrom« erkrankten Flugkapitän. Die Revision ist nicht zugelassen.
von Tim van Beveren
Berlin. Ein bereits 2010 erkrankter Flugkapitän der Germania erzielte heute einen Erfolg vor dem Landesarbeitsgericht Berlin gegen seinen Arbeitgeber, die Fluggesellschaft Germania. Vor sieben Jahren litt Günther Knorr (50) plötzlich an Erschöpfung, Konzentrations- und Schlafstörungen, Nervenschmerzen in Armen und Beinen, war extrem vergesslich und klagte über Koordinierungsprobleme. Seitdem war er krankgeschrieben. Im Herbst 2015 kündigte ihm sein Arbeitgeber. Seine daraufhin vor dem Berliner Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage wurde am 6. April 2016 zugunsten seines Arbeitgebers abgewiesen. Die Richterin stütze sich in ihrer Begründung auf eine durchaus gängige Formulierung in Arbeitsverträgen für Flugbegleiter und Piloten bei deutschen Airlines: Wenn ein Mitarbeiter des fliegenden Personals aus medizinischen Gründen fluguntauglich wird, endet das Arbeitsverhältnis. Doch dieses Urteil wurde heute vom Landesarbeitsgericht aufgehoben, die Kündigung ist unwirksam.
Der ehemalige Boeing 737 Flugkapitän Knorr machte gegen seinen Arbeitgeber geltend, dass er während seiner Dienstzeit an Bord durch toxische Dämpfe in der Kabinenluft vergiftet worden sei. Er leide am sogenannten »aerotoxischen Syndrom« wie die Vielzahl der durch vergiftete Kabinenluft hervorgerufenen Krankheitssymptome bereits seit Ende der 90er-Jahre bezeichnet werden. Dies hätte seine neurologischen Schäden verursacht und sein Arbeitgeber habe es versäumt ihn davor angemessen zu schützen. Als er die Airline hierauf durch seinen Anwalt Ende 2015 angesprochen hatte, reagierte diese postwendend mit der fristlosen Kündigung.
Der für die Germania im Gericht anwesenden Personalchef Claus Probe wollte sich im Anschluss an die Verhandlung nicht äußern und verwies an die Pressestelle. Diese erklärte auf Anfrage, dass das Unternehmen »zu Dienstverhältnissen und arbeitsrechtlichen Verfahren keine Stellung nehmen« könne.
Die Pilotenvereinigung Cockpit begrüßt das heutige Urteil. VC-Vorstandsmitglied Jörg Handwerg sagte, dass »sich Airlines bei schwerwiegenden Erkrankungen nicht so einfach aus ihrer sozialen Verantwortung stehlen dürften. Wir haben schon bei dem Absturz der Germanwings in den französischen Alpen gesehen, wozu so etwas möglicherweise führen kann.«
Besonders das Flugpersonal ist durch die gängige Klausel in ihren Arbeits- und Tarifverträgen in der Klemme, dass der Verlust ihrer medizinischen Flugtauglichkeit automatisch zur Kündigung ihres Arbeitsvertrages führt, oft sogar, ohne dass es einer ausdrücklichen Kündigung durch den Arbeitgeber bedarf. Melden sie also ihrem Fliegerarzt Symptome, sind sie womöglich ihre Lizenz und ihren Job los. Reißen sie sich hingegen zusammen und versuchen, irgendwie durch den Arbeitstag zu kommen, werden sie zu einem Sicherheitsrisiko. Die Diskussion um den Absturz einer Germanwings-Maschine am 24. März 2015 in den französischen Alpen hat dies gerade noch einmal deutlich gemacht. Offenbar setzt sich diese Erkenntnis nun auch bei deutschen Arbeitsgerichten durch.
In einem ähnlich gelagerten Fall gegen die Lufthansa AG hatte erst jüngst im Dezember 2016 das Landesarbeitsgericht Hessen befunden, dass die Festlegung einer auflösenden Bedingung nur wirksam ist, wenn dabei der gesetzlich verankerte Kündigungsschutz nicht umgangen wird. Dies bestätigte heute Knorr’s Rechtsbeistand, die Frankfurter Rechtsanwältin Martina Stickler-Posner, die auch das Verfahren gegen Lufthansa vor dem LAG Hessen geführt hatte.
Bereits vor der Verhandlung hatte der Vorsitzende Richter der 4. Kammer, Dr. Axel Aino Schleusender, der Fluggesellschaft Germania signalisiert, dass das Gericht schon im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes Bedenken an der Wirksamkeit der Kündigungsklausel hätte. Noch im Termin versuchte er die Airline zu einem gütlichen Vergleich mit ihrem erkrankten Mitarbeiter zu bewegen. Dies wurde jedoch vonseiten der Airline vehement abgelehnt. Das Urteil könnte nun Signalwirkung in ähnlich gelagerten Fällen entfalten.