ESSAY: »DER HAUPTMANN VON HANNOVER«

oder: WIE SICH EIN WISSENSCHAFTLER IN RAUCH AUFLÖSTE

von Tim van Beveren, Berlin

 

Eine Bundestagsabgeordnete mit erfundenem Jura-Studium, ein Krankenpfleger als Kreuzfahrt-Schiffsarzt, ein technischer Zeichner als leitender Brandschutz-Ingenieur auf der BER-Baustelle, und nun ein technischer Angestellter einer Uni-Verwaltung als leitender Wissenschaftler im Auftrag einer EU-Behörde. Wie ist derartige akademische Hochstapelei immer wieder möglich?

Immer wieder steht Laborleiter und nicht-Akademiker Wolfgang Rosenberger im Fokus von MHH Publikationen, obwohl die akademische Verantwortung angeblich bei der Institutsleiterin Prof. Dr. Renate Wrbitzky liegt. Doch die eigentliche Akademikern taucht nirgendwo auf. Quelle: MHH Info 2/2014

Wolfgang Rosenberger von der Medizinischen Hochschule Hannover gilt schon seit einigen Jahren in der internationalen Luftfahrt-Szene als einer der führenden Forscher, wenn es um «kontaminierte Kabinenluft» an Bord von Flugzeugen geht. Mehrfach hat er z.B. im Auftrag der Deutschen Lufthansa und der Condor umfangreiche Messreihen in Flugzeugen durchgeführt, im Jahr 2014 wurde er sogar durch einen weiteren Auftrag mit EU-Mitteln von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) «geadelt».  Seit 2009 ist Rosenberger auch immer wieder gerne gesehener Gastredner auf internationalen wissenschaftlichen Symposien und Fachtagungen auf denen er über seine Messungen und die Relevanz der dabei erzielten Ergebnisse referiert und dabei mit Kritik an immerhin peer-reviewten wissenschaftlichen Publikationen renommierter und habilitierter Forscher und Mediziner nicht gerade zurückhaltend ist. Summa summarum, so Rosenbergers bisheriges Fazit einmal zusammengefasst: gibt es demnach keine Gesundheitsgefährdung für Passagiere und Besatzungen und geltende Arbeitsplatz-Grenzwerte würden hier durch Schadstoffe nicht überschritten. Aus Sicht der Airlines und der Luftfahrt-Industrie also kein Grund zur Sorge, alles bestens.

Einziger Schönheitsfehler: Wolfgang Rosenberger ist selber gar kein Akademiker und verfügt nach Auskunft seines Arbeitgebers, der Medizinischen Hochschule Hannover, (MHH) gegenüber der WamS noch nicht mal über ein Abitur.

Als das Magazin für politische Kultur Cicero Mitte August über den fehlenden Dipl.-Ing. eines „Wissenschaftlers“ an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) berichtete, brach über Magazin und seine Autorin ein regelrechter Shitshorm empörter Leserzuschriften los. Mit allein 14 Postings verteidigt Michael Bader, Vize-Präsident Forschung bei BASF in Ludwigshafen, seinen gelegentlichen Ko-Autoren Wolfgang Rosenberger. Auch Ralph Hebisch, einer der wissenschaftlichen Direktoren der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), eilte unverzüglich zur Rettung von Ehre und Kompetenz hinzu, ebenso wie Dr. Wolfgang Will, ehemaliger Leiter des Human-Biomonitoring-Labors bei BASF und heute Gastwissenschaftler in der Projektgruppe «Systemtoxikologie» des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IFADO).

Inzwischen hat der Chefredakteur von Cicero, Christoph Schwennicke, höchstpersönlich den Artikel der Cicero-Kollegin Petra Sorge «offline» gesetzt. Nicht weil sich der ehemalige Spiegel Mann Schwennicke etwa den zahlreichen Leserbeschwerden gebeugt hätte (das wird nur hausintern kolportiert), sondern weil der Artikel angeblich «etwas dünn» gewesen sei. Aber es geht hier ja nicht um den Herausgeber und Chefredakteur des Cicero oder journalistische Prinzipien, sondern um Wolfgang Rosenberger und dessen Auswirkungen.

Publikationsgeil ?

Ein scharfer Blick hinter die akademischen Kulissen wirft dann doch ein schräges Licht auf einen eigentlich renommierten Wissenschaftsbetrieb, der sich und seine ambitionierten Forschungen offenbar mit allerlei Drittmitteln aus Kreisen der Industrie finanziert. So listet das Institut für Arbeitsmedizin der MHH, bei dem Wolfgang Rosenberger quasi «auf Zuruf» durch die Institutsleiterin Professor Dr. Renate Wrbitzky derzeit als «Leiter des analytisch-toxikologischen Labors» beschäftigt ist, sagenhafte 34 Kooperationen mit Industrie und Versicherungen auf. Da können andere Institute auch schon mal vor Neid erblassen.

Doch schaut man dann noch einmal genauer hin, tritt eine eher unheilige Allianz aus Industrie-Interessen, akademischem Wegsehen und der Gier nach Drittmittel-Geldern zu Tage, dies gepaart mit einem fast schon pathologischen Drang zur Selbstdarstellung im internationalen Fachtagungs-Reigen.

Immer wieder werden stolz von der MHH auch Drittmittel-Förderungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für den «Projektleiter Rosenberger» vermeldet. So zum Beispiel in den offiziellen Forschungsberichten der MHH für die Jahre 2010, 2011 und 2012 (abgerufen am 15.09.2016). Doch der DFG, die immerhin als die deutsche Königsklasse in Wissenschaft und Forschung gilt, sind Projektförderungen bei einem Herrn Rosenberger völlig unbekannt. Auch sei Wolfgang Rosenberger «keinesfalls berufener DFG-Sachverständiger», wie das MHH Institut in seinem Forschungsberichten seit 2009 und in seinem Internet-Auftritt behauptet, sondern «ab und zu als Gast» in der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe eingeladen gewesen, erklärt DFG Sprecher Mario Finetti gegenüber der WamS auf Nachfrage. Einer der ständigen wissenschaftlichen Mitarbeiter in genau dieser Kommission ist übrigens… – richtig! Professor Dr. Michael Bader, BASF.

Dass Wolfgang Rosenberger bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft bis zum jetzigen Zeitpunkt weder Förderanträge gestellt noch Fördermittel bewilligt erhalten hat und insofern auch «nicht als Leiter eines DFG-geförderten Forschungsprojekts oder -teilprojekts verzeichnet ist» steht dann leider auch gleich mehrfach im Widerspruch zu den offiziellen Verlautbarungen MHH. Erst auf Nachfragen der WamS an den Präsidenten der Hochschule räumte MHH Pressesprecher Stefan Zorn schließlich per E-Mail ein, dass es hier wohl zu «Fehlern in der Übermittlung von Daten» für die Publikationen gekommen sei, darunter und das ist jetzt mehr als peinlich für das Renommee der Hochschule, gleich mehrfach darunter auch in jedem offiziellen Forschungsbericht der letzten 7 Jahre.

Also alles nur «Ungenauigkeiten» und «Missverständnisse» im Bereich Arbeitsmedizin mit dem Schwerpunkt Toxikologie, also der Lehre über Gifte und gesundheitsschädliche Stoffe, bei Luft- und Schadstoffmessungen? Das sind mehr als merkwürdige Zufälle in einem Bereich, der ansonsten für absolute Präzision und methodische Zuverlässigkeit bis in winzigste Nanopartikel steht. Sollte die MHH hier etwa selbst keinen Überblick mehr über die von ihr verantworteten Projekte und deren jeweiligen Leiter haben? Eine für eine Hochschule so wichtige Publikation wie ihre Forschungsberichte, vergleichbar mit den obligatorischen Geschäftsberichten einer Aktiengesellschaft, wird normalerweise vor Veröffentlichung mehrfach von allen Seiten auf Fehler abgeklopft. Aber wenn es wirklich so sein sollte, wie MHH Sprecher Stefan Zorn in seiner Klarstellung behauptet, dass die Fehler aufseiten des arbeitsmedizinischen Instituts der MHH erfolgt sein sollen,  dann verwundert es allerdings auch nicht mehr, dass Laborleiter Wolfgang Rosenberger mit seinem in Kooperation mit Lufthansa Technik gebastelten Messkoffer, bei seinen Messungen in den Lufthansa-Airbussen weder Schadstoffe noch vermeintliche Grenzwertüberschreitungen durch diese Stoffe findet.

Ironie beiseite, die grundsätzlichen Frage nach den Qualifikationen des Wolfgang Rosenberger bleiben trotzdem weiter undurchsichtig.

Ein «angepeppter» Lebenslauf

In seinem Lebenslauf, zum Beispiel dem eingereicht für das 8. internationale Symposium über modernen Prinzipien der Luftmessungen und des Biomonitoring im Juni 2014 im französischen Marseille, machte Rosenberger dann auch gleich mehrfach Angaben, die ihn durchaus in dem elitären Kreis der Teilnehmer ebenbürtig erscheinen lassen.  Er hatte sogar den Vorsitz der Arbeitsgruppe «Luftmessungen» auf dieser Fachtagung inne. Doch nachgeprüft hat die Angaben im Lebenslauf aber offenbar niemand.

Wolfgang Rosenbergers Lebenslauf, eingereicht für die Air-Mon-Fachtagung 2014 in Marseille

Denn das „Technical College“ im Sauerland, also die technische Hochschule an dem Rosenberger angeblich 4 Jahre lang «Chemie-Ingenieur» (chemical engineering) studiert haben will, existiert nicht. Die Bürgermeisterin des angegebenen Orts vermutet eine Außenstelle einer damals dort ansässigen Berufsschule. Das würde in der Tat auch mehr Sinn machen, sonst hätte Wolfgang Rosenberger ja schon im zarten Alter von nur 16 Jahren ein mehrjähriges und hoch anspruchsvolles Ingenieurstudium begonnen und absolviert. Aber so viele echte Wunderkinder gibt es nicht mal an den anderen Technical Colleges a la MIT, IIT oder Stanford. Die Studienzeit zum Chemie-Ingenieur mit dem Abschluss «Diplom-Ingenieur» beläuft sich üblicherweise auch heute noch auf 10 Semester.

Doch das ist nicht die einzige bizarre Angabe in seinem Lebenslauf. Ein «Officer» für Gesundheit und Sicherheit namens Wolfgang Rosenberger an einer Hochschule für angewandte Wissenschaft in Berlin ist an Berliner Hochschulen nicht bekannt, weder als Student noch als Mitarbeiter oder als «Beauftragter». Einzig die Beuth-Hochschule für Technik Berlin, vormals TFH Berlin, bietet in ihrem Fernstudieninstitut einen Weiterbildungskurs zur «Fachkraft für Arbeitssicherheit» an. Aber dabei handelt es sich nicht um ein Studium, erst recht kein Vollzeitstudium, wie in den Bachelor- und Masterstudiengängen, sondern eine 19-monatige berufsbegleitende Ausbildung. Die Teilnehmer haben auch keinen Studentenstatus und erhalten nach erfolgreichem Kursabschluss lediglich ein Zertifikat.

Unter der Rubrik «praktischer Berufserfahrung» gibt er an von 1986 – 1991 im analytischen Labor der Bundeswehr in Hannover mit Analysen von Lebensmitteln, Wasser, Medikamenten und Umweltproben betraut gewesen zu sein. Im Lebenslauf die einzige Angabe die sich zumindest teilweise nachvollziehen lässt. Ein Anfrage beim Presse- und Informationsstab Streitkräfte Basis ergab, dass zu dieser Zeit in den Gebäuden des ehemaligen britischen Militärhospitals das Untersuchungsinstitut des Sanitätsdienstes untergebracht war. Es bestand aus einer chemischen und einer veterinärmedizinischen Untersuchungseinrichtung. Die Bundeswehr legte in ihrer Auskunft wert auf die Feststellung, dass im Laborbereich nur «qualifiziertes und kompetentes Fachpersonal» eingesetzt wurde. Hierzu zählten auch geeignete Wehrdienstleistende und Zeitsoldaten, die nachweislich eine Ausbildung zum Apotheker oder Chemiker bestanden haben.

Weitere Recherchen unter ehemaligen Wehrdienstleistenden in dieser Einrichtung ergaben, dass Wolfgang Rosenberger in diesem Labor als Wehrdienstleistender, jedoch noch ohne die zuvor genannten Qualifikationen gearbeitet hat. Der «Job beim Bund» gefiel ihm offenbar so gut, dass er nach Beendigung seines Wehrdienstes hier unbedingt weiter machen wollte.

Aber ist alles andere eventuell nur «Übersetzungsfehler» für einen englischsprachigen Lebenslauf? Das bei einem Mann, der als «leitender Wissenschaftler», «Projektleiter», «Lecturer» mithin also «Hochschuldozent» und als «Sachverständiger» fleissig seitenlange Fachaufsätze auf internationaler Ebene produziert, rege auf Kongressen und Tagungen im In- und Ausland im Namen der MHH auftritt und dabei gern andere Wissenschaftler, die im Gegensatz zu ihm über Promotion und Professuren verfügen, als unseriös diffamiert? Nicht zu vergessen, dass er jahrelang sogar Medizinstudenten unterrichtet sowie Flugzeugbesatzungen Schulungen in Gesundheitsfragen erteilt.

Bemerkenswert in seinen Vorträgen auf Fachtagungen sind seine Ausführungen zu «Korrelation und Kausalität», den wissenschaftliche Kriterien, die er bei anderen Referenten und akademischen Wissenschaftlern oft und gern vermisst. Fachleute im Publikum waren dann auch immer wieder erheitert, wenn Rosenberger auf seinen Powerpoint-Folien Auszüge aus Wikipedia graphisch aufbereitet, um diese dann als «nichtfundierte Behauptungen» zu widerlegen. Und neben all diesen Arbeiten im Dienste für Wissenschaft und Forschung hatte er ausserdem noch die Zeit gefunden einen speziellen Messkoffer für Luftmessungen in Flugzeugen zu erfinden und damit für die Lufthansa viel-fliegen zu gehen.

Handelt es sich hierbei wirklich nur um unbeabsichtigte Assoziationen, die eine höhere Qualifikation suggerieren sollten? Angeblich, so MMH Sprecher Zorn, haben Hochschule, seine Team-Kollegen und Ko-Autoren Bescheid gewusst – aber mit welchen Konsequenzen? – Keinen.

Salonfähig mit Hilfe einer Bundesbehörde

Stattdessen: weitere Aufträge, weitere Einladungen – und rein «versehentliche» mehrfach und über Jahre falsche Titel auf der Einladung einer Bundesbehörde, dem Umweltbundesamt (UBA) sowie der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemische Industrie (BG-RCI). Dort fungierte Rosenberger als «Dipl.-Ing.» Gegenüber Cicero erklärte Rosenberger hierzu: «Auf Kongressen, Tagungen etc. werde ich ständig mit akademischen Graden überhäuft. Da ist der Dipl.-Ing. der niedrigste. Wahrscheinlich wird dies immer angenommen. Ich selbst sehe dies auch erst, wenn die Programme geschrieben sind und habe dies auch niemals von mir behauptet.» Das mag sein, jedoch hat Rosenberger offenbar auch keine Versuche unternommen die falschen Titel von sich aus zu korrigieren. Auf den Seiten der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemische Industrie, wo er für eine Tagung im Jahr 2015 ebenfalls als Diplom-Ingenieur firmierte wurden die fehlerhaften Einträge erst nach Anfrage des Magazins Cicero entfernt.

Das  Umweltbundesamt erklärte gegenüber der WamS auf Anfrage, dass es der Behörde weder möglich noch es ihre Aufgabe sei, die «wissenschaftlichen Qualifikationen von eingeladenen Referenten oder Sitzungsteilnehmern zu hinterfragen». Damit schiebt man den «schwarzen Peter» elegant zurück zur MHH, auf deren Seite Rosenberger ja als verantwortlicher Projektleiter fungiert und welche angeblich eine der ersten Institutionen in Deutschland gewesen sein soll, die Untersuchungen in Flugzeuginnenräumen durchgeführt hätte. Allein aus diesem Grund habe man Rosenberger gebeten, die Untersuchungsdaten der MHH der Innenraumlufthygiene-Kommission im Jahr 2011 vorzustellen. Weitere Einladung zu Veranstaltungen mit UBA Beteiligung folgten in den Jahren 2012, 2013, 2014 und 2016.

Doch die Behörde machten den «Luftexperten» darüber hinaus auch in anderen Kreisen «salonfähig». Auf «ausdrückliche Bitte» der Behörde wurde Rosenberger beim Verband der deutschen Ingenieure (VDI) eingeladen. Dies bestätigt VDI Sprecher Marco Dadomo auf Nachfrage. Im VDI nahen Springer/VDI Verlag durfte er dann ab 2012 sogar auch allein, also ohne irgendeinen akademischen Mentor publizieren, und das mehrfach, in der jährlichen Fachschrift zu «Gefahrenstoffen und Reinhaltung der Luft». Der VDI hat angekündigt diese Publikationen nun vorsichtshalber doch einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

 

Vom Publizisten und Projektleiter

Daneben gibt es aber auch weitere Fachpublikationen gemeinsam mit Funktionären bzw. Sachbearbeitern der Berufsgenossenschaft Verkehr (BG-Verkehr), also dem Rückversicherer der deutschen Airlines, der seit Jahren alle Anträge von an Bord vergifteten und in der Folge teilweise schwer erkrankten Flugpersonal munter abweist und sich dabei auffallend häufig auf Rosenbergers Forschungsergebnisse beruft, während andere peer-reviewte Publikation von immerhin berufenen Professoren, Wissenschaftlern und Medizinern einfach hartnäckig ignoriert werden. So z.B. der BG Mitarbeiter im Geschäftsbereich Prävention, Ulrich Metzdorf, der auch schon mal zusammen mit Rosenberger publiziert hat.

Eine der aktuellsten und wohl renommiertesten Drittmittel-Forschungsaufträge kommt von der EU, nämlich der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) in Köln. Die ist immerhin zuständig für die Gesundheit und Flugsicherheit von Millionen von europäischen Passagieren und Flugzeug-Besatzungen. Aber wie kann ein einfacher Laborant in dieser Ebene überhaupt mitmischen? Die Antwort des EASA Sprechers Dominique Fouda an die WamS liest sich wie ein verspäteter Aprilscherz: »Es reiche doch aus, wenn einer im Team einen Doktortitel hätte.«

Im Forschungsbericht der MHH 2015 liest sich das eindeutig anders: da steht zunächst der Projektleiter Rosenberger und der promovierte Abteilungsleiter für Bio- und Umweltanalytik des Fraunhofer Instituts, zusätzlich Inhaber von Diplomen in Biologie und in Chemie, darf als «Kooperationspartner» lediglich die zweite Geige spielen.

Die «Causa Rosenberger» also ein Fall für «Jugend forscht», Fachgebiet Chemie? Auch das ist Wolfgang Rosenberger leider nicht gegönnt, denn als Nachwuchsforscher ist er mit 51 definitiv oberhalb der Altersgrenze, und als Betreuer darf er auch nicht mitmachen, denn da müsste er schon Chemielehrer oder mindestens Ausbilder sein.

Markus Tressel, MdB (Bündnis90/die Grünen)

Der Bundestagsabgeordnete Markus Tressel sieht bei Rosenberger eine Methodik: «Das lässt die Klärungsbemühungen von Luftfahrt-Industrie und Airlines schon wieder in einem anderen Licht erscheinen. Flugpersonal und der Passagiere müssen sich darauf verlassen können, dass eben nicht selbst ernannte Experten über Fragen mit einer solchen Tragweite für ihre Gesundheit entscheiden, sondern anerkannte Wissenschaftler. Wenn hier jahrelang möglicherweise bewusst der Anschein erweckt wurde, Wissenschaftler würden untersuchen und bewerten, während es einfache technische Angestellte ohne wissenschaftlichen Hintergrund taten, dann wäre das hochproblematisch. Das gilt es jetzt zu klären, und zwar rückhaltlos.» erklärte der grüne Abgeordnete Tressel gegenüber der WamS. Von der Bundesregierung fordert er erneut die unabhängigen Studien, die seine Fraktion bereits seit Jahren anmahnt. „Nur mit unabhängiger wissenschaftlicher Expertise kann in dieser Frage Klarheit geschaffen werden.“, so Tressel.

Auch die Pilotenvereinigung Cockpit ist alarmiert: «Herr Rosenberger hat im Auftrag der Industrie Messungen durchgeführt und wurde von den Airlines und der Berufsgenossenschaft als ‚der Experte‘ in Sachen Kabinenluft hochgehalten. Er hat eine von Anfang an kritische Einstellung zur möglichen Schädlichkeit von Kabinenluft eingenommen. Er hat sich mehrfach kritisch zur Seriosität von Studien renommierter Wissenschaftlern geäußert, die die Giftigkeit von Kabinenluft anders beurteilen, was im Licht der neuen Erkenntnisse fragwürdig wirkt.»so VC Sprecher Markus Wahl gegenüber der WamS.

Die Vereinigung Cockpit fordert nun, dass sämtliche Untersuchungen und Beurteilungen im Bereich der Kabinenluft nach zertifizierten wissenschaftlichen Standards von qualifiziertem Personal durchgeführt werden. Die Gewerkschaft Ver.di geht noch einen Schritt weiter: Sie fordert eine unabhängige Überprüfung der Messungen und Ergebnisse, die durch Wolfgang Rosenberger ermittelt wurden. Ansonsten können die Ergebnisse keinesfalls als wissenschaftlich erachtet werden, erklärte Bundesfachgruppensekretär Luftfahrt, Robert Hengster.

Aber genau von dieser wissenschaftlichen Bedeutung hat Rosenberger auch im Lufthansa Tagungszentrum in Seeheim einem elitären Kreise Glauben machen wollen. Dann scheint es nicht mehr fern, wie andere namhafte Wissenschaftler mit sehr hochgezogenen Augenbrauen anmerken, bis beispielsweise die Lufthansa einen Gepäckabfertiger mal eben einen ihrer Airbus A380 pilotieren lassen könnte, oder eine Reinigungskraft der MHH demnächst den dortigen Lehrstuhl für Hygiene übernimmt, – frei nach dem Motto: „Aus der Praxis, rein in die Praxis“.

„catch me if you can“

MHH und das vorgesetzte Ministerium stellen auf Nachfrage der WELT immerhin klar, dass Wolfgang Rosenberger kein Wissenschaftler sei, auch kein wissenschaftlicher Mitarbeiter, auch kein Lehrbeauftragter und im übrigen auch kein Abitur habe, stattdessen nur technischer Mitarbeiter in der Verwaltung sei. Aber er würde schon ein bisschen unterrichten, ein paar Stunden die Woche unter der Verantwortung von Institutsleiterin Professor Dr. Renate Wrbitzky. Ein paar Studenten müssen ihn aber da doch zumindest für ihren Professor gehalten haben, dazu passend ist nämlich ein Profil auf „meinprof.de“ angelegt und von ihm selbst ergänzt um, – nein, nicht um einen Korrekturhinweis, sondern um eine Publikation als Lektüre-Empfehlung.

Auf einem anderen, etwas seriöseren Internet-Portal, der Wissenschaftsplattform „Researchgate.net“, präsentiert sich der Rosenberger als Experte für „Molekular-, Zell- und Xeno-Biologie“. Und siehe da, als „Follower“ jede Menge bekannter Kollegen aus BASF, Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie, MHH, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, VDI, Fraunhofer, EASA. Eigenwerbung Researchgate: „Transforming the world through collaboration“. Das ist in der Tat ganz dicht an Kausalität und Korrelation.

Wolfgang Rosenberger selbst äußert sich, trotz mehrfacher Anfrage, nicht.

Längst nach Redaktionsschluss meldete sich dann MHH Pressesprecher Stefan Zorn erneut zu Wort, auch im Namen Rosenbergers, der sich als «Mitarbeiter der MHH nur in Rücksprache mit seinem Arbeitgeber Journalisten gegenüber äußern» dürfe. Eine einwöchige Frist zur Beantwortung eines simplen Fragenkataloges über die Ausbildung, Orte und erworbenen Abschlüsse Rosenbergers und seine Selbstdarstellung kritisierte Zorn als «absolut willkürlich». Das Rosenberger am 09.06.1965 geboren sei, wäre nach seiner (Zorns) Einschätzung nicht relevant. Dann endlich lässt er die Katze aus dem Sack: Rosenberger sei staatlich geprüfter Chemisch-technischer Assistent sowie Fachkraft für Arbeitssicherheit. Er hätte angeblich auch die Fachhochschulreife erlangt. Die dafür angeforderten Nachweise oder Belege lieferte er nicht.

Doch damit kann man jetzt behaupten: Der international bekannte Kabinenluft-Experte Wolfgang Rosenberger von der MHH ist eigentlich ein ganz normaler Laborant.

Da muss dann sogar das niedersächsische Wissenschafts-Ministerium kapitulieren, zwar gelte natürlich das Landes-Hochschulgesetz, aber ansonsten sei doch nach Artikel 5 Grundgesetz «Lehre und Forschung» frei. Das liest sich nun wirklich als «macht doch was Ihr wollt.» Konsequenzen: Bis jetzt – Fehlanzeige.

Offenbar scheinen Kenntnisse in Theorie, Prüfungen, Leistungs- und Qualifikationsnachweise, Lizenzen, Diploma und fundierte akademische Qualifikationen – bei der Vergabe von Aufträgen milliardenschweren Industriezweige keine Rolle mehr zu spielen, aber als Etikett soll dann bitte doch eine möglichst namhafte deutsche Hochschule dran kleben. Ein Laborant wird so zum modernen Hauptmann von Köpenick, nur im Unterschied zu dem historischen Hochstapler haben hier gleich mehrere und ansonsten durchaus angesehene Institutionen sowie auch gestandene Akademiker offenbar nicht nur weggesehen, sondern auch kräftig mitgemischt.