Am 24. Februar 2021 erschien im Tagesspiegel ein Artikel, an dem ich gemeinsam mit dem Kollegen Lorenz Maroldt gearbeitet habe. Diesen finden Sie hier:
Hier nachfolgend das Ganze noch etwas ausführlicher und up-to-date und meine eigene kleine „Recherche-Chronologie“:
„Über den Wolken“
von Tim van Beveren, Berlin
Jedes Mal, wenn Christiane M. (Name geändert) an ihren Arbeitsplatz kommt, betritt sie eine völlig andere Welt: Eine, in der trotz anhaltender Pandemie zumindest Mindestabstandsregeln aufgehoben sind, und wo man, unbeschwert, wie in der guten alten Vor-Corona-Zeit, mit dem Sitznachbarn bei einem guten Gläschen Rotwein plaudern oder sich einen Blockbuster ansehen kann. Denn der Arbeitsplatz von Christiane M. ist hoch über den Wolken, da wo die Freiheit bekanntermaßen noch grenzenlos ist. Sie arbeitet als Stewardess, bei der Lufthansa.
„Das Lustige ist, dass die Passagiere während des Boarding ein Meter fünfzig Abstand halten müssen und im Flieger sitzen sie dann Ellbogen an Ellbogen.“ berichtet sie amüsiert. Zum richtig Kontakt-nahen und risikoreicheren Teil kommt es für sie und ihre Kolleginnen und Kollegen regelmäßig beim Bordservice. „Da hab ich dann 20 Zentimeter Abstand zum Gast, wenn der am Essen ist, dann hat der seine Maske runtergenommen und ich gehe hin und frage: Was möchten Sie trinken? – Natürlich habe ich eine FFP2-Maske auf, weil ich keine Lust habe dieses Virus zu kriegen. Aber die Lufthansa sagt ja, ich dürfte auch nur mit einer medizinischen Schutzmaske arbeiten, wenn ich möchte. Es wird mir freigestellt.“ In der Businessclass kommt die Flugbegleiterin so schon mal locker auf sechs Kontakte mit knapp 15 Passagieren, wenn der Flug gut gebucht ist. Und das sind die Langstreckenflüge, besonders nach Südamerika. „Die meisten Flüge sind so um die Hälfte bis voll“, berichtet die Stewardess, das bedeute aber auch „Minimum sechs Chancen pro Gast mich anzustecken, wenn jemand das Virus haben sollte, und wo der die ganze Zeit die Maske nicht aufhat. Und dann kommt ja noch der zweite Service, mit so mindestens drei bis vier Gelegenheiten.“ Der erste Serviceblock dauert in der Regel zwischen anderthalb bis zwei Stunden und der Zweite, vor der Landung, noch einmal eine Stunde. Das heißt aber auch, dass zu dieser Zeit alle an Bord befindlichen Passagiere gleichzeitig ihre Masken abnehmen. Andere Airlines sind da strikter, die maskenfreie Zeit wird z.B. bei United auf 15 Minuten begrenzt. Die meisten ihrer Passagiere empfindet die Lufthansa Stewardess als „diszipliniert und die haben ansonsten die Maske auch gut auf. Aber es gibt natürlich auch welche, die bringen einem Mal bei, wie lange man an so einem Brötchen essen kann…“
Während Grundschülern die AHA-Regeln eingetrichtert werden, die Wirtschaft global herunterfährt und die Menschen aufgefordert wurden Weihnachten lieber allein zu verbringen, wurde weitergeflogen. Denn die Freiheit über den Wolken beruht auf einer vermeintlichen Gewissheit: Das Infektionsrisiko in knapp 11 Km Höhe sei kontrollierbar und äußerst gering – angeblich. Offenbar gibt es jetzt daran doch erhebliche Zweifel.
Über ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie haben einige Bundesländer wie z.B. Niedersachsen leicht schärfere Maßnahmen verhängt, auch für das fliegende Personal. Seit letzter Woche gibt es nach dem Willen der Landesregierung keine speziellen Privilegien und Ausnahmen mehr. Was für ’normale Reisende‘ schon lange galt: Auch bei der Rückkehr aus einem Hochinzidenzgebiet und einem vorangegangenen Aufenthalt von mehr als 72 Stunden müssen Airline-Mitarbeiter in eine 14-tägige Quarantäne, sogar dann, wenn ein negativer PCR-Test vorgelegt wird. Allerdings: bei einem Aufenthalt kürzer als 72 Stunden sind „keine Maßnahmen erforderlich“. Hierüber herrscht sogar in allen Bundesländern Einigkeit. Die Logik dahinter erschließt sich nur schwer, aber Flugzeugbesatzungen gehören eben zur privilegierten Gruppe der „systemrelevanten“ Berufe. Das wurde schon zu Beginn der Krise festgelegt.
Kurze Rückblende ins Frühjahr 2020: Airline Manager beklagen sofort die international verhängten Reisebeschränkungen und damit nachhaltigen Einschnitte in ihr profitables Geschäftsgebaren. Große wie kleine international agierende Airlines fahren ihre Flugbetriebe herunter und stellen Verbindungen vollständig ein. Schnell werden Forderungen nach staatlichen Auffangnetzen, Rettungsschirmen und Erleichterungen für die Branche laut. Neun Milliarden Euro stellte allein der Bund vergangenes Jahr für die „Rettung“ der Corona-bedingt in heftige Turbulenzen geratenen Lufthansa bereit.
Allerdings hielt sich das Mitgefühl für die weltweit angeschlagenen Airlines bei Manchen auch in Grenzen. Denn was von niemandem ernsthaft bestritten werden kann ist, dass sich im Gegensatz zu global verheerend wirkenden Pandemien der letzten Jahrhunderte, SARS-CoV-2, inklusive der jetzt überall vermehrt auftretenden Mutationen, nun gerade durch das Flugzeug weltweit ausbreiten konnte. In Rekordzeit. COVID-19 kam nicht über Jahre, wie im Mittelalter die Pest auf Seidenstraße und Seewegen zu uns, sondern reiste ganz bequem in der First-, Business- und Bretterklasse. Vor- und Nachteile des technischen Fortschritts und der grenzenlosen Mobilität im Stundenrhythmus einer globalisierten Welt.
Merkwürdig mutet in diesem Kontext an, dass gerade die von der Weltgesundheits- Organisation WHO seinerzeit, z.B. im Zuge der Schweine- und Vogelgrippe aufgestellten Empfehlungen auf COVID-19 nicht zutreffen sollen. Damals ging die WHO davon aus, dass im Umkreis von fünf Reihen um eine infizierte Person an Bord mit einer Übertragung gerechnet werden müsse[1].
Doch nur als deutsche Airlines vergangenes Jahr wenige Flüge durchführten, empfahl das Robert-Koch-Institut (RKI), dass Infektionen, die mutmaßlich an Bord auftraten, überhaupt nachverfolgt werden sollen[2]. Als die Flugbetriebe im Frühsommer wieder hochfuhren, wurde dann aber die Nachverfolgung vom RKI ausgesetzt. Auf dieses Paradox angesprochen erklärt das Institut, dass in der Literatur nur sehr selten Übertragungen von SARS-CoV-2 während einer Flugreise beschrieben wurden. – Eigentlich einleuchtend, denn es wurde ja auch gar nicht untersucht, weder vom Institut selbst, noch von anderen. (Empfehlenswert ist da die Lektüre einiger schon zu dieser Zeit veröffentlichten Studien, auch solchen, die sehr wohl Ansteckungen mit SARS-CoV-2 an Bord nachgewiesen haben[3]) Weiter heißt es in einer dem Tagesspiegel zugegangen Stellungnahme der RKI: „Aus diesen Gründen wurde in der Zusammenschau der epidemiologischen Lage (steigende Inzidenz im Oktober 2020) und der Fokussierung der vorhandene Ressourcen auf die Lage vor Ort die Empfehlung ausgesetzt (so wurde auch im März 2020 während der 1. Welle verfahren), mit dem Hinweis, dass die Empfehlung bei entsprechend geänderter epidemiologischen Lage wiederaufgenommen werden kann und dass letztlich die Behörde vor Ort nach Kapazitäten entscheidet, ob eine Kontaktpersonennachverfolgung im Flugzeug durchgeführt wird bzw. werden kann.“ Beruhigend ist, dass aufgrund der zunehmenden Verbreitungen der inzwischen aufgetauchten Mutationen vom RKI die Empfehlung zur Kontaktverfolgung seit letztem Januar für Flüge aus Virusvariantengebieten und seit Februar für alle Flüge wieder aufgenommen wurden. Auf die Frage, wie nach Ansicht des RKI z.B. die Covid-19-Variante P.1. aus Südafrika nach Deutschland gelangt ist, kann das Institut, eben mangels Daten, keine Angaben machen.[4]
Angst sich anzustecken hat Stewardess Christiane M. und das scheint auch durchaus berechtigt. Denn auch bei Lufthansa gibt es 425 Infektionsfälle, davon 215 bei Mitarbeitern aus der Kabine und 38 unter den Pilotinnen und Piloten. Aus internen Lufthansa-Unterlagen, die wir einsehen konnte, geht hervor, dass „in vier Fallsituationen eine Übertragung zwischen einem infizierten Crewmitglied und einem weiteren Crewmitglied nicht ausgeschlossen werden (kann)“. „Eine Übertragung fand mutmaßlich im Cockpit statt“ und bei drei Fällen hat die Übertragung im Flug wahrscheinlich „während einer gemeinsamen Pause und dem Essen in der Galley unter Missachtung des Schutzmaßnahmenkonzepts stattgefunden.“[5]
Allerdings tat und tut sich auch weiterhin gerade die Lufthansa mit den Schutzmasken offenbar schwer. Während gerade zu Beginn der Pandemie bereits asiatische Airlines an ihre Crews Ganzkörperschutzanzüge ausgaben, wurden einfache Schutz- und FFP2-Masken von den Ärzten der konzerneigenen medizinischen Abteilung, im LH-Jargon kurz „PM“, nachhaltig abgelehnt. So schreibt PM am 4. Februar 2020 zum Thema „Atemschutzmasken“: Diese können „eventuell zur Infektionsvermeidung beitragen. Generell ist der Nutzen dieser Schutzmaßnahmen bei gesunden Personen aber sehr fraglich.“ Und: Außerhalb Chinas „sind Atemschutzmasken definitiv nicht zu empfehlen.“[6]
Auch gute 20 Tage später, die Pandemie breitet sich inzwischen mit dramatischen Fällen über Europa, hier besonders in Italien aber auch in Südkorea aus, werden Lufthansa-Crews endlich FFP-2 Masken zur Verfügung gestellt. Bei PM heißt es dazu: „Diese Masken sollten aus medizinischer Sicht ausschließlich bei einem Aufenthalt in Menschen Ansammlungen getragen werden. Ansonsten ist ein Tragen nicht notwendig. Auf Flügen in die o.g. Regionen ist den Crews freigestellt, Masken an Bord zu tragen. (…) Aus medizinischer Sicht ist dies, wie bereits weiter unten beschrieben, nicht notwendig und auch nicht empfohlen.“[7]
Zwei Tage später stuft die WHO das globale Risiko von „hoch“ auf „sehr hoch“ und die Infektionszahlen in Deutschland steigen sprunghaft an.
Am 11. März kapituliert auch die WHO und erklärt COVID-19 endgültig zur Pandemie. Weltweit werden in den kommenden Wochen drastische Maßnahmen wie behördlich angeordnete Schließungen, Kontaktverbote und Ausgangssperren verhängt. Stillstand und „Lockdown“, – auch in Deutschland. – Hätten da nicht vielleicht doch Schutzmasken, wie sie gerade in Asien weitverbreitet und gesellschaftlich durch alle Altersgruppen und Schichten akzeptiert sind, eine wichtige Rolle spielen können?
Aber warum tut sich ausgerechnet die Lufthansa so schwer damit? Warum empfiehlt sie ihrem fliegenden Personal die keinen Selbstschutz bietenden medizinischen Masken, statt der besseren FFP2-Masken? Flugbegleiterin Christiane M. hat eine Antwort: „Weil die weniger martialisch aussieht.“
Ziemlich unbeliebt sind unter den Lufthansa-Crews derzeit Flüge nach Main Land China, also alles außer Hongkong. Dies liegt vor allem an der Unterbringung der Besatzungen in den dortigen Hotels (CP berichtete[8]). Denn nach Anweisungen der Behörden steht die gesamte Besatzung unter strikter Zimmer-Quarantäne. „Das ist wie Isolationshaft!“ berichtet Christiane M. „Da kommst‘ rein, gehst ins Hotel und die machen die Tür hinter dir zu und du darfst erst zum Rückflug wieder raus.“ Das Essen wird von Hotelangestellten vor die Tür gestellt und das Tablett etwas später wieder abgeholt. Mal kurz frische Luft schnappen oder ‚eine rauchen‘: Fehlanzeige!
Da jedoch für Flüge nach China auch von der gesamten Besatzung ein negativer PCR-Test verlangt wird, gibt es für Flugbegleiter hier einen eleganten Notausgang, verrät Christiane M.: „Diesen PCR-Test kann die Lufthansa von uns nicht verlangen, er ist freiwillig, weil es keine gesetzliche Grundlage für einen Zwang gibt. Alle die, die keinen Bock auf China haben, die sagen: PCR-Test mach ich nicht. Und dann fliegen sie halt USA.“ Wer Glück hat, bekommt einen Umlauf nach Los Angeles. „Da kann man sich frei bewegen und viele Kolleginnen nutzen die Gelegenheit und gehen zum Friseur oder an den Strand.“ verrät die Stewardess.
Viele Länder fordern derzeit von einreisenden Passagieren und Crews einen negativen PCR-Test, damit man überhaupt einreisen darf. Einige behalten sich auch vor, dass bei Einreise noch einmal selbst zu überprüfen, so z.B. China. Und weil Anfang Februar 2021 an Bord des täglichen Lufthansa Fluges 728 von Frankfurt nach Shanghai „der Grenzwert positiv getesteter Gäste bei Einreise in China überschritten wurde“ haben die chinesischen Behörden dem Kranich kurzerhand die Flügel gestutzt. Die Verkehrsrechte für Passagierflüge auf dieser Strecke wurden bis auf Weiteres entzogen. Angeblich aber, – so der Leiter des Lufthansa-Krisenstabes Ola Hansson in einer Mitteilung an die Mitarbeiter-, seien die Passagiere bei Abflug in Frankfurt negativ gewesen[9].
Die Lage auf dem Markt ist auch für die Lufthansa weiter angespannt, wohl auch durch die vermehrt auftretenden Mutationen, beklagt jedenfalls LH-Manager Hansson in einer anderen Mitteilung. Das Flugprogramm befindet sich danach weiter auf „niedrigstem Niveau. Wir halten quasi nur noch Strecken aufrecht die als systemrelevant und absolut notwendig gelten.“ Die Verbindungen in Mutationsgebiete wie Südafrika und Portugal hat Lufthansa wegen der Reiserestriktionen eingeschränkt. Aber, Mutation hin oder her, es gibt auch Positives zu vermelden: „Anders UK und Brasilien: Trotz Mutationsgebiet bleibt die Nachfrage dort stabil.“[10]
Längst fokussieren sich die Airline-Manager auf die anstehende Osterreisezeit und vor allem: Das Sommergeschäft. Doch inwieweit die kühnen Prognosen wirklich aufgehen, richtet sich vornehmlich erst einmal nach den Lockerungen, über die Bund und Länder in den nächsten Wochen zu entscheiden haben. Und mit dem Märchen, dass die Luft an Bord so sauber wie in einem OP sei, werden Kranichs und Co und auch ihr Lobbyverband diesmal wohl nicht so einfach durchkommen, wie nach dem 1. Lockdown.
Schnell hatte damals der Bundesverband der deutschen Luftverkehrsindustrie (BDL) die Propaganda-Maschinerie angeworfen und die verunsicherte Öffentlichkeit auf seinen Internetseiten[11] zu beschwichtigen versucht. Fliegen sei – auch in Zeiten von Corona sicher, stand dort zu lesen und: „Das Risiko, sich während einer Flugreise mit dem Virus anzustecken, ist extrem gering.“ Das hätte immerhin auch das RKI bestätigt. Außerdem sei die Kabinenluft frisch, bzw. der zirkulierende Anteil würde fortwährend gefiltert und von Staub, Bakterien und Viren gesäubert. Die dazu verwendeten Hochleistungs-Filter entsprächen „dem Standard der Filter eines klinischen Operationssaals“ und „Darüber hinaus findet die Luftströmung in Flugzeugen von oben nach unten statt. Es gibt keine horizontalen Luftströmungen seitwärts oder in Längsrichtung.“[12]
Diese Statements aus dem berufenen Munde des BDL sucht man allerdings heute vergeblich im Netz. Ohne jeglichen redaktionellen Hinweis auf eine Korrektur wurden sie vom BDL entfernt, nachdem solche Thesen von einem Experten für Kabinenluftsysteme und Flugzeugbau nachhaltig widerlegt wurden: Professor Dr.-Ing. Dieter Scholz, von der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Aber solche „Fake News“, wie Professor Scholz sie bezeichnet, sterben offenbar nur langsam, auch oder gerade besonders bei Airline-Pressestellen. Denn auch auf den aktuellen Internetseiten der Lufthansa finden sich noch ähnliche Aussagen, zuletzt mit Datum vom 22. Januar 2021 zur Maskenpflicht[13]. Dazu erklärt Prof. Scholz gegenüber dem Tagesspiegel: „Alles Quatsch!“ und führt aus: „Das eine Ansteckung an Bord sehr unwahrscheinlich sei, ist eine unbegründete und nicht quantifizierte Behauptung ohne Beleg.“ Weder die europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) noch das RKI hätten Angaben zur Ansteckungswahrscheinlichkeit in Flugzeugen gemacht, so Scholz. „In welchem Umfang Ansteckungen an Bord wirklich stattgefunden haben ist unbekannt, weil die Nachverfolgung in der Luftfahrt die meiste Zeit ausgesetzt war.“
Auch die Behauptungen in Bezug auf eine Luftqualität ‚wie in einem OP‘ hinken seiner Ansicht nach gewaltig: „Im Flugzeug sind die Viren einer erkrankten Person zunächst in der Kabine und damit unmittelbar auch beim Sitznachbarn. Durch die in manchen Flugzeugen verwendeten HEPA-Filter wird die Konzentration der Viren lediglich reduziert – nicht aber beseitigt.“
Und schließlich widerspricht er auch den Thesen, dass „die Luft innerhalb von 2-3 Minuten komplett ausgetauscht“ würde und der angeblich nur „vertikal zirkulierenden Luft“ in den Kabinen mit Verweis auf technische Informationen der Flugzeughersteller: „Es wird im Flug ein Teil der Luft re-zirkuliert und die HEPA-Filter können einen Teil zurückhalten, aber eben nicht vollständig.“, erklärt der Professor. Ein 100prozentig wirkender HEPA Filter kann die Virenkonzentration eben halbieren, aber der Einsatz dieser Filter an Bord von Flugzeugen ist gar nicht verbindlich geregelt.“, und er fügt hinzu: „Die Luft wird in der Kabine nicht nur von oben nach unten, sondern auch horizontal geführt. Dadurch wird die Luft direkt von einer Person zur nächsten Person in einer Sitzreihe geführt. Über die Länge der Kabine verteilen sich Viren durch Diffusion und Turbulenz. Auch wenn Personen, wie z.B. Flugbegleiter oder Passagiere durch den Gang gehen, verteilen sich die Viren weiter.“
Doch die kühnen Thesen der Industrie wurden auch von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf dem eigens einberufenen Aviation Summit im Juli 2020 aufgegriffen. In der anschließenden Pressekonferenz sagte der Minister wörtlich: „Wir stimmen uns dabei eng mit den Wissenschaftlern ab, in Deutschland mit dem Robert Koch-Institut und deswegen freut es mich, dass dieser deutsche Vorschlag im Kolleginnen- und Kollegenkreis auf europäischer Ebene so angenommen wurde, und wir uns gestern auf diese einheitlichen Standards verständigen konnten.“[14] Auf die Zwischenfrage eines Journalisten von der Tageszeitung die Welt, warum sich das Gremium gegen die Option eines frei bleibenden Mittelplatzes ausgesprochen habe, um den Abstand an Bord zu erhöhen, sagte der Minister: „Die Antwort ist nicht politisch, sondern die ist rein wissenschaftlich. Wir haben uns rückversichert beim Robert Koch-Institut, haben intensive Gespräche darüber geführt, was das Robert Koch-Institut empfiehlt, haben das auch Rückgekoppelt mit den Flugzeugbauern, wir haben uns die Filteranlagen, die Klimaanlagen ganz genau angesehen, ich könnt jetzt da ins Detail gehen, da gibt’s einen sogenannten ‚Klimavorhang‘, da wird die Luft innerhalb von Minuten komplett ausgetauscht durch diese modernen Anlagen, also von daher gibt es auch die wissenschaftliche Begründung, dass das Freilassen des Mittelplatzes nicht notwendig ist.“
Hierauf angesprochen und wie die Abstimmung zwischen dem Minister und dem RKI erfolgt sei, erklärte die RKI-Pressestelle vergangene Woche: „Das RKI kommentiert generell keine Äußerungen dieser Art. Es gab ein Telefonat zwischen Herrn Minister Scheuer und Herrn Wieler. Empfehlungen für einzelne Branchen spricht das RKI generell nicht aus.“
Verhängnisvoll wird es aber nicht nur in der Luftfahrt stets dann, wenn rein kommerzielle Interessen im Vordergrund stehen und Begriffe wie „Verantwortung und Fürsorge“ für Mitarbeiter und Passagiere zu Lippenbekenntnissen degradiert werden.
Andererseits steht gerade die Luftfahrt, wie keine andere Branche, unter einem ganz besonderen „Schutz“ des Staates und verhüllt sich dabei gerne hinter einem kaum durchschaubaren Geflecht von politischen Kontakten, Verbindungen und -wicklungen. Darüber hinaus schätzt die Branche eines ganz besonders: Diskretion. Man bespricht und entscheidet am liebsten hinter verschlossenen Türen, „unter sich“. Und mit offiziellen Beschwerden oder Eingaben sind die Mitarbeiter gerade zu Pandemiezeiten auch eher zurückhaltend. Aber nicht aus Loyalität, sondern eher aus reinem Selbstschutz, wie Christiane M. berichtet: „Ich bin ja nicht bescheuert. Der- oder diejenige, die muckt, kriegt gleich ne Gesprächseinladung zur Teamleitung und dann kommt das ‚Damoklesschwert‘, wenn man sagt, man kann oder will das nicht. Dann lassen die sehr schnell durchblicken: ‚Na ja, dann sind Sie medizinisch ja nicht flugtauglich‘. Spätestens dann hält man die Schnauze, weil sonst wirst Du zum medizinischen Dienst geschickt, der nimmt dich aus dem Flugbetrieb und dann gibt’s halt Kurzarbeitergeld.“
Seit Freitag, den 12. März können Urlaubs-hungrige Deutsche wieder auf ihre Lieblingsinsel Mallorca jetten, – ohne Quarantänepflicht nach der Rückkehr. Zwar warnt die Bundesregierung vor kurzfristigen Urlaubsplänen und rät dann doch lieber auf „nicht notwendige Reisen“ zu verzichten, aber darin offenbart sich eigentlich nur einer der weiteren vielen Widersprüche zu den auch ansonsten nicht gerade nachvollziehbaren Anordnungen und Maßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie. Und während die Intensivmediziner für einen dritten Lockdown plädieren, kann man sich nach den Zeiten der Entbehrungen am Ballermann, – dank Flugzeug, so richtig gehen lassen. – Ganz so wie damals in Bad Ischgl…
[1] https://www.who.int/ihr/travel/A(H1N1)_air_transport_guidance.pdf
[2] Antworten RKI auf die Anfrage vom 19.2.2021
[3] Anlage „Studien“
[4] Antworten RKI auf die Anfrage vom 19.2.2021
[5] Gefährdungsanalyse der Lufthansa
[6] Veröffentlichungen des Lufthansa medizinischen Dienstes seit 06.01.2020
[7] ebenda (Fn 6)
[8] seit der Berichterstattung in CP wird der ehemalige Flug nach Nanjing jetzt noch nach Korea fortgesetzt und die Besatzung geht dann dort ins Hotel, übernachtet und fliegt dann über Nanjing zurück nach Frankfurt
[9] LH UPDATE 11-2-2021
[10] LH UPDATE OLA HANSSON 04-02-2021
[11] https://perma.cc/74AJ-9LPJ?type=image
[12] ebenda
[13] https://www.lufthansagroup.com/de/newsroom/meldungen/lufthansa-group-passt-maskenpflicht-an.html
[14] Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, PK Aviation Summit am 23.07.2020